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Zwei Niuws-Kuratoren im Schlagabtausch: Streaming und die Zukunft der Unterhaltungsindustrie

Niuws-Zitat

Die 62 Kuratorinnen und Kuratoren von Niuws zeichnet aus, dass sie eine grosse Leidenschaft für ihr Fachthema besitzen, und dass kaum eine Minute vergeht, in der sie sich nicht gedanklich mit diesem auseinandersetzen. So verwundert folgender spontaner Schlagabtausch nicht, der sich vor einigen Tagen zwischen Andreas Von Gunten, Kurator der Box Netzpolitik, und Jürgen Vielmeier, Kurator der Box TV-Serien, im internen Kuratoren-Slack-Channel entwickelte.

Im Zentrum ihrer angeregten Diskussion stand die Frage, wie beim Konsum von digitalen Inhalten wie Musik und Videos Kundenbedürfnisse sowie die Interessen der Unterhaltungsindustrie unter einen Hut gebracht werden können — und ob dies überhaupt möglich ist. Im Folgenden publizieren wir mit Genehmigung von Andreas Von Gunten und Jürgen Vielmeier das leicht überarbeitete Gesprächsprotokoll.

Andreas Von Gunten: Wenn ich abends mal spät nach Hause komme, sehe ich mir gerne zum Einschlafen noch irgend eine Folge einer möglichst nicht zu anspruchsvollen Serie auf dem Tablet an. Eine dieser Serien ist Doctor Who. Dabei kann es gut vorkommen, dass zwischen zwei Folgen ein paar Wochen vergehen. Gestern war es wieder einmal so und ich wollte dort weitermachen, wo ich war. Irgendwo bei Folge 6 oder 7 der zweiten Staffel. Doch die zweite Staffel ist nicht mehr verfügbar. Es gibt nur noch die Staffeln 5 bis 8. Was für ein totaler Reinfall. Ich bin so verärgert, dass ich mir ernsthaft überlege, das Netflix-Abo zu kündigen. Ich habe erst vor kurzem überhaupt bemerkt, dass dort Filme auch wieder depubliziert werden. Diese Industrie hat es nicht besser verdient als zerstört zu werden. Wahrscheinlich werde ich mir bei Gelegenheit alle Doctor Who-Staffeln im Netz holen und in meiner Cloud speichern, dort kann ich ja auch streamen.

Jürgen Vielmeier: Ich schaffe es gerade nicht, mich darüber aufzuregen. Netflix ist nicht Spotify. Der Service kostet nen Apple und nen Ei für das, was er liefert. Dass Netflix da die Kosten gering halten will, indem einzelne Rechte nicht verlängert werden, kann ich gut nachvollziehen. Sky Online ist da übrigens noch viel, viel schlimmer. Da hast du manchmal, ähnlich wie bei den Mediatheken der ÖR, nur wenige Tage, um eine Show zu sehen.

Andreas Von Gunten: Ich würde ja sogar mehr bezahlen, aber ich will einfach alles im Zugriff haben und zwar immer. Ich will alle Songs und alle Filme und alle Bücher, die je produziert wurden und produziert werden, im Netz haben, sodass ich das Zeugs nicht sammeln muss. Mich nervt, dass das technisch möglich und richtig wäre, aber die Rechteinhaber einfach nicht begreifen wollen, dass sie von Kundenbedürfnissen her denken müssen, und nicht aus ihrem Ledersessel. Ich bleibe darum vorläufig dabei: diese Industrie sollte zerstört werden, damit sich was gescheites Neues entwickeln kann. Diese Industrie ist nicht lernfähig.

Jürgen Vielmeier: Hätte ich auch gerne, aber es ist eben nicht so einfach, weil da sehr viele Rechteinhaber mit reinspielen. Ergo ist nicht nur die Industrie gefragt — die sich meiner Ansicht nach auf einem sehr guten Weg befindet – sondern jeder Künstler und jede Künstlerin. Und die scheinen mir vielfach das Hauptproblem zu sein.

Andreas Von Gunten: Klar, viele Künstler spielen da natürlich auch eine wichtige Rolle. Aber woran machst du fest, dass die Industrie auf gutem Weg ist? Ich sehe das nicht. Ich sehe nur schlechte Paywall-Lösungen und den Kampf, gute Dienste zu zerstören. Wie beispielsweise den Kampf der Musikindustrie gegen YouTube und SoundCloud oder den der Filmindustrie für das unsägliche Geoblocking.

Jürgen Vielmeier: Nimm Amazon und Spotify als Positivbeispiele. Beide haben recht erfolgreich versucht, ihre Vorstellung einer Digitalflatrate oder zumindest einer Digitalisierung zu bezahlbaren Preisen durchzusetzen. Die Gegenbewegung kam im Falle von Spotify von zu gierigen Künstlern (Taylor Swift, Adele, die Musiker hinter Tidal). Im Falle von Amazon am ehesten von den Verlagen, wenn man die als Industrie bezeichnen will. Aber selbst hier ist mit dem Tolino was ins Rutschen gekommen. Ja, ein Spotify für Videos fehlt noch, aber auch da sehe ich eher Rechteinhaber und sogar Konsumenten in der Pflicht, die natürlich nicht mehr als 10 Euro im Monat dafür bezahlen wollen.

Andreas Von Gunten: Die von dir erwähnten Künstler agieren im Prinzip selber als grosse Konzerne und Labels. Sie gehören zur ‚Industrie‘ und sind nur eine kleine Minderheit der Kulturschaffenden. Und weil die ‚Industrie‘ davon träumt für jede Nutzung eines Werkes Geld nehmen zu können — und das in globalen Dimensionen — , ist sie eben der grosse Ermöglicher von zentralen und damit marktbeherrschenden Plattformen wie Amazon und bald Spotify oder Apple Music. Eine solche Lösung ist schlecht für alle, ausser für die paar Konzerne, die dann übrig bleiben werden. Nein, Amazon und Spotify sind für mich auf keinen Fall Positivbeispiele. Sie bauen über den Einsatz von DRM und Paywalls Lösungen auf, die uns in das Zeitalter von CompuServe zurück werfen. Ich nehmen ihnen das nicht übel, sie machen das, was die Unterhaltungsindustrie erlaubt und darum ist es die, die man angreifen muss. Aber keine Sorge, ich bin zuversichtlich, dass sie auf lange Frist nicht gewinnen werden. Aber man muss es immer und überall klar machen, diese Lösungen sind alle Schrott und wären nicht nötig, wenn man einsehen würde, dass Inhalte sich frei im Netz bewegen können müssen, oder anders gesagt: “It’s the Link stupid” 🙂

Jürgen Vielmeier: Und was machen wir da jetzt am besten? 🙂

Wer wissen möchte, wie sich dieses zweifellos polarisierende Thema weiterentwickelt, sollte sich nicht die Gelegenheit entgehen lassen, der Netzpolitik-Box von Andreas Von Gunten und der TV-Serien-Box von Jürgen Vielmeier bei Niuws zu folgen.

Niuws steht kostenfrei als App für iPhone und Android zum Download bereit. Ausserdem können alle Niuws-Boxen direkt über Slack abonniert und konsumiert werden.

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